Kanban: der japanische Logistik-Turbo

Kanban wurde im Jahr 1947 von Taiichi Ohno aus der Not geboren, denn die Produktivität des japanischen Autobauers Toyota war kurz nach Ende des Zweiten Weltkrieges im Vergleich zu den US-amerikanischen Wettbewerbern deutlich geringer.

Auf der Suche nach Optimierungsmöglichkeiten setzte Ohno in Teilen der Produktion statt auf die bis dato genutzte zentrale Produktionssteuerung auf das von Supermärkten bekannte Hol- oder Pull-Prinzip: Was verbraucht wurde, wird schnellstmöglich ersetzt – im Idealfall ohne zeitliche Verzögerung.

Beim Kanban werden hierzu Quellen und Senken definiert. Quellen sind Orte im Unternehmen, an denen Materialien beschafft oder gefertigt werden, Senken sind die empfangenden Verbrauchsstellen.

Um den Verbrauch sichtbar zu machen und damit einen frühzeitigen Indikator zu haben, wurden die namensgebenden Kanban-Karten entwickelt (Kanban bedeutet auf Japanisch „Karte“). Auf diesen wurden sämtliche relevanten Informationen zum Produkt oder Bauteil dokumentiert, die in der Produktion, Beschaffung und Logistik benötigt werden. Die Karten werden dem Material beigelegt und verbleiben während der Produktion auch dort. Geht das Produkt oder Bauteil zu Neige, wird die Karte als Auslöser einer Nachbestellung oder eines Fertigungsauftrages an die Quelle (Einkauf, Produktion) zurückgegeben, löst dort eine verbrauchsbezogene Nachbestellung aus und wird mit dem Nachschubmaterial zur Senke geliefert. Dieser Kreislauf setzt sich immer wieder fort und sorgt damit im Optimalfall für eine kontinuierliche Versorgung, geringere Lagerbestände und einen deutlich geringeren Planungsaufwand.

Klare Regeln sind erforderlich

Damit diese Ziele im Unternehmen verwirklicht werden können, müssen bei Kanban bestimmte Regeln eingehalten werden. So ist die Karte ein kritischer Erfolgsfaktor, denn wenn diese nicht oder nicht rechtzeitig von der Senke zur Quelle gelangt, wird eine Nachbestellung nicht oder nur verzögert ausgelöst. Für den reibungslosen Betrieb ist es daher unabdingbar, dass Karten regelmässig (täglich oder mehrmals wöchentlich, je nach Produktionsvolumen) eingesammelt und weitergeleitet werden.

Auf der anderen Seite muss im Unternehmen sichergestellt werden, dass Materialbestellungen ausschliesslich über die Kanban-Karte initiiert werden, da andernfalls ungewollt Lagerbestände aufgebaut werden, die erhöhte Handlings- und Lagerkosten verursachen.

Um den Bestellprozess zu beschleunigen und abzusichern, werden die relevanten Informationen häufig sowohl im Klartext als auch als Bar- oder QR-Code aufgedruckt. Codiert werden neben der exakten Artikelbezeichnung und –Nr. auch der Verbrauchsort und die genaue Menge. So kann eine Nachbestellung weitgehend automatisiert ausgelöst und bei Lieferung zugeordnet werden.

Kanban in Aktion

Heute werden klassische Karten (z.B. aus laminiertem Karton) nur noch selten eingesetzt, verbreiteter ist das so genannte Behälter-Kanban. Hier werden Kunststoffbehälter oder Sichtlagerkästen genutzt, die mit einem dauerhaften oder austauschbaren Etikett versehen werden. Der Warenkreislauf wird über die Behälter sichergestellt, indem das Etikett abgescannt und der Behälter dann zur erneuten Befüllung an den Lieferanten weitergeleitet wird.


Um den Bestellprozess zu beschleunigen, werden die relevanten Informationen häufig als QR-Code aufgedruckt. (Bild: © D. Pimborough – shutterstock.com)

Bei besonders kritischen Materialien oder solchen mit einem hohen Durchsatz werden in der Regel zwei oder mehr Behälter genutzt, um eine kontinuierliche Versorgung der Produktion sicherzustellen: Während ein Behälter gefüllt am Arbeitsplatz steht, löst der zweite Behälter bereits eine Nachbestellung aus, wird befüllt und erreicht den Arbeitsplatz spätestens dann, wenn der erste Behälter entleert ist.

Häufig wird das Kanban-Prinzip bei C-Teilen eingesetzt, also solchen Teilen, die nur einen geringen Warenwert darstellen, allerdings dennoch für eine reibungslose Produktion unverzichtbar sind. Klassischerweise sind das etwa Verbindungselemente oder Verbrauchsmaterialien, für diese Produktgruppen bietet Kanban das grösste Potential, denn die Beschaffungs- und Lagerkosten für diese Materialien stehen wirtschaftlich in keinem Verhältnis zu ihrem eigentlichen Wert.

Für den Erfolg eines Kanban-Systems ist entscheidend, dass alle Beteiligten die Regeln kennen und einhalten. Behälter dürfen nicht von einem Arbeitsplatz zu einem anderen verbracht oder aus dem Kreislauf genommen werden. Das gilt auch für defekte Behälter, die nicht mehr genutzt werden können, diese müssen zunächst ausgetauscht werden, um die Versorgung nicht zu gefährden.

Feste oder variable Befüllung?

Ob die Behälter dauerhaft mit Etiketten bestückt werden oder nur als Vorratsbehälter dienen, die heute Schrauben und morgen Litzen enthalten, hängt von den individuellen Anforderungen des Unternehmens und der Produktion ab. In der europäischen Automobilindustrie hat sich schon seit langem die Nutzung von variablen Etiketten auf breiter Basis durchgesetzt, die Klein- und Grossladungsträger werden nach Leerung einem Leergutpool zugeführt und sind damit universell einsetzbar. Allerdings erfordert dieses eine zusätzliche Verwaltung der Behälter und Leergutkonten sowie eine regelmässige Abstimmung mit den beteiligten Lieferanten, da die Poolbehälter an alle angeschlossenen Unternehmen verteilt werden und somit kein geschlossener Kreislauf vorhanden ist.

Wenn jedoch ölige oder schmierige Bauelemente eingefüllt werden sollen, ist eine dauerhafte Etikettierung sinnvoller, also etwa bei Drehteilen oder Verbindungselementen. Die Alternative ist die Reinigung der Behälter, bevor diese erneut dem Pool zugeführt werden, dieses ist mit zusätzlichen Kosten verbunden, die nicht zur Wertschöpfung beitragen. Auch wenn es sich nicht um Schüttgut handelt, sondern eine auf das Bauteil abgestimmte Einlage erforderlich ist, stellt die feste Adressierung der Behälter oft die wirtschaftlichere Variante dar, da andernfalls zusätzlich zu den Behältern auch die separaten Inlays verwaltet und nachgehalten werden müssen.

Die Abmasse und Füllmengen der Behälter müssen sich dabei immer an der erwarteten Verbrauchsmenge an der jeweiligen Senke orientieren. Zu kleine Behälter erhöhen bei einem Mehrbehälter-System unnötig die Umschlaghäufigkeit und damit die Kosten für die innerbetriebliche Warenverteilung, zu grosse Behälter oder Füllmengen binden Lagerplatz. In der Praxis muss daher das System regelmässig überprüft werden, um Veränderungen im Bedarf zu erkennen und entsprechend zu reagieren. Alternativ kann durch den Einsatz von Behälterwagen oder Schränken der Platzbedarf minimiert werden, ohne Engpässe in der Produktion zu provozieren.



Fazit: Kanban ist ein Top-Tool, braucht aber Startinvestitionen

Überall dort, wo ein hohes Volumen von C-Teilen eingekauft werden muss, um die Produktion sicherzustellen, lohnt sich die Einführung eines Kanban-Systems. Das volle Potential kann bei Kanban jedoch nur genutzt werden, wenn sowohl die personelle wie auch die technische Organisation passt. Kanban muss sich in der Unternehmens-IT abbilden lassen und sollte auch von den Lieferanten unterstützt werden, um eine möglichst hohe Automatisierung beim Bestellprozess zu erreichen. Und nicht zuletzt muss das System gepflegt werden, Verbrauchsdaten müssen regelmässig überwacht und ausgewertet werden, um auf Veränderungen zeitnah reagieren zu können.

 

Oberstes Bild: © Christian Delbert – shutterstock.com

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Mehr zu Christian Praetorius

Christian Praetorius, Jahrgang 1969, gelernter Controller und Logistiker mit jahrelanger Berufserfahrung. Seit 2012 gemeinsam mit seiner Frau Christine als freier Texter und Autor selbständig, erfolgreich und glücklich. Seine Kunden schätzen ihn für klare Worte, originelle Slogans und kreative Wortspiele ebenso wie für seine absolute Zuverlässigkeit und Kundenorientierung. Schreibt aus Berufung und mit Leidenschaft für die Sprache, die Botschaft und den Leser.

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