Staatssekretär Yves Rossier: Kritik an der "kriegsähnlichen Rhetorik" gegen die EU

Das Votum für die Masseneinwanderungsinitiative hat die Beziehungen der Schweiz zur Europäischen Union recht grundlegend verändert. Durch die zu erwartenden Gesetzesänderungen steht nicht nur das Personenfreizügigkeitsabkommen, sondern auch eine Vielzahl anderer Verträge auf dem Prüfstand. Die EU fährt gegenüber der Schweiz hier eine harte Linie – die Personenfreizügigkeit sei aus europäischer Sicht nicht verhandelbar. Die politische Schweiz reagiert darauf mit einem Diskurs, der nur allzu oft in „kriegsähnliche Rhetorik“ mündet.

Jedenfalls meint dies Staatssekretär und Chefdiplomat Yves Rossier (FDP). In der vergangenen Woche meldete er sich mit einer Kritik daran zu Wort. Rossier mahnt, dass die Eidgenossen sich daran erinnern müssten, dass die Schweiz keineswegs von Feinden umzingelt sei – vielmehr seien die europäischen Nachbarn unsere engsten Partner.

Die Schweiz und die EU – mehr Gemeinsamkeiten als mit allen anderen Ländern

Gesellschaftspolitisch sowie in Bezug auf ihre Lebensverhältnisse und wesentliche Werte habe die Schweiz mit ihren direkten europäischen Nachbarn mehr Gemeinsamkeiten als mit allen anderen Ländern. Die „Kriegsrhetorik“ entspreche daher nicht der Realität, sondern diene vor allem innenpolitischen Zwecken. Sicher habe sich die Beziehung zur EU gewandelt – allerdings nicht nur im Hinblick auf die aktuelle Diskussion. Die Nachbarstaaten der Schweiz sind heute längst nicht mehr vier von sechs oder zwölf EU-Mitgliedsstaaten, sondern sie müsse sich über politische Lösungen mit insgesamt 24 weiteren europäischen Ländern verständigen. Neuverhandlungen über das Personenfreizügigkeitsabkommen nach der Masseneinwanderungsinitiative werden beispielsweise nur auf Basis der Zustimmung aller 28 EU-Länder möglich werden.

Welchen Anwendungsspielraum bieten die bestehenden Verträge?

Unkommentiert liess Rossier den kürzlich in den Medien verbreiteten Briefentwurf Catherine Ashtons. Ein solches Schreiben der EU-Aussenbeauftragten sei im Berner Aussendepartement bisher nicht eingegangen. Trotzdem formulierte er eine recht klare Position: Auch wenn Zuwanderungskontingente zumindest für Bürger der EU mit dem Prinzip der Personenfreizügigkeit nicht vereinbar wären, bedeute dies nicht, dass es keine Verhandlungen oder Gespräche darüber geben können. Er selbst präferiere allerdings eine Diskussion darüber, wie das bestehende Abkommen nach dem Votum angewendet werden könne.

Personenfreizügigkeit – ein politischer Grundwert der EU

Die Fronten der Debatte über die Personenfreizügigkeit waren spätestens nach dem 9. Februar 2014 – dem Tag des Votums – klar. Die Mitgliedsstaaten der EU betrachten Personenfreizügigkeit als ein Grundrecht und ihre Beschränkung daher als ein politisches Problem. Ein EU-Politiker würde von seiner Wählerschaft zur Rechenschaft gezogen, wenn er in diesem Bereich Schweizer Sonderrechte unterstützte. Eine Lösung könne es nur auf der Basis gemeinsamer Interessen geben – Rossier sieht hierfür durchaus Spielraum.


Für Staatssekretär Y. Rossier ist es klar, dass die Verhandlungen mit der EU noch viel Zeit erfordern werden. (Bild: Denniro / Shutterstock.com)
Für Staatssekretär Y. Rossier ist es klar, dass die Verhandlungen mit der EU noch viel Zeit erfordern werden. (Bild: Denniro / Shutterstock.com)


Die bilateralen Verträge mit einzelnen EU-Mitgliedsländern betrachtet der Diplomat aus einer differenzierten Perspektive. Für sich genommen sei keines der über 100 Vertragswerke „absolut lebenswichtig“ – gravierend und vor allem unberechenbar werden die Konsequenzen allerdings, wenn die Zusammenarbeit mit der EU in allen relevanten Bereichen abbricht. Klar sei, dass die Verhandlungen mit der EU noch viel Zeit erfordern werden. In den Gesprächen zu einem institutionellen Rahmenabkommen mit der EU standen in den vergangenen Wochen noch nicht einmal alle relevanten Themen auf der Tagesordnung.

Yves Rossier wird der Satz zugeschrieben, dass ein Schweizer Diplomat die Kunst beherrschen muss, „mit den Winden zu spielen“ – und zwar auch dann, wenn sein Schiff, anders als die Grossmächte, keinen Motor hat. Es bleibt zu hoffen, dass der Wind einer solchen Diplomatie sowohl den Schweizern als auch der EU trotz aller kontroversen Debatten günstig bleibt.

 

Oberstes Bild: © Micha Klootwijk – Shutterstock.com

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