Die falsche Theorie von der Work-Life-Balance

In vielen Beiträgen online und offline wird über die sogenannte Work-Life-Balance diskutiert. Dabei geht der theoretische Ansatz meist von einer symbolischen Waage aus, bei der die Arbeit auf der einen Seite, das Leben auf der anderen Seite für eine unterschiedliche bis ausgewogene Gewichtung sorgen sollen. Dieser theoretische Ansatz unterstellt, dass die Arbeit losgelöst vom restlichen Leben betrachtet werden könne. Arbeit, vor allem die berufliche Arbeit, wird damit als etwas Unnatürliches, wenn nicht sogar als ein lebensfeindliches Element klassifiziert.

Dass ein solcher Ansatz vom Grundprinzip her falsch ist, wird klar, wenn man sich genauer mit der menschlichen Natur befasst. Die Arbeit an sich ist eine typisch menschliche Eigenschaft, die unsere Spezies von allen anderen Lebensformen auf unserem Planeten unterscheidet. Mit unserer Arbeit verändern wir nicht nur instinktiv, sondern bewusst und zielgerichtet unsere Umwelt und das eigene Leben. Dass hier die bezahlte Arbeit im Beruf eine besondere Rolle einnimmt, ist aus der Geschichte der Arbeit heraus zu erklären.

Was hat es mit der Diskussion um die Work-Life-Balance auf sich?

Die Ausgewichtung von Erwerbsarbeit und Privatleben kann nicht als ein allgemeiner Zustand nach Herbeiführung eines tatsächlichen Gleichgewichts beschrieben oder angeordnet werden. Damit ist die sogenannte Work-Life-Balance ein eher idealer Zustand, der sich weder verordnen noch durch bestimmte Massnahmen für jedermann gleich herstellen lässt. Letztlich ist das Empfinden der Ausgewogenheit von beruflicher Anforderung und privater Lebensführung immer auch von individuellen Vorstellungen und Massstäben abhängig.

Oftmals wird der Faktor Zeit als Massstab für das Herstellen einer Work-Life-Balance verwendet. Folgt man diesem Modell konsequent, dann würde das bedeuten, dass Menschen täglich zwölf Stunden erwerbsbezogen arbeiten könnten und weitere zwölf Stunden selbst verplanen dürften. Und das auch an den Wochenenden. Damit wäre zumindest für die Erwerbsarbeit ein zeitlich absolutes Gleichgewicht hergestellt. Demgegenüber stehen in den modernen Industrieländern Arbeitszeitgesetze, die die Arbeitszeit deutlich unter zwölf Stunden arbeitstäglich begrenzen.

Ein anderer Ansatz ist der Ausgleich zwischen beruflicher Belastung und individuellen Entspannungsphasen und der Zeit für Familie, Erholung und private Interessen. Aber auch dieser Ansatz geht an einer allgemeingültigen Ausgewogenheit vorbei. Während sich einzelne Menschen bereits nach vier Stunden angestrengter Arbeit ausgelaugt bis überlastet fühlen, empfinden andere auch bei regelmässigen Zwölf-Stunden-Arbeitstagen keinerlei Erschöpfung. Dementsprechend kann auch dieser Ansatz zur Work-Life-Balance nicht als allgemeingültig verstanden werden.

Egal, welches Modell der Work-Life-Balance herangezogen wird, immer bleiben individuelle Unterschiede und Unsicherheiten in der klaren Abgrenzung bestehen. Schon aus diesem Grund scheint der theoretische Ansatz der Work-Life-Balance weder wissenschaftlich noch arbeitsorganisatorisch aufrechtzuerhalten zu sein.


Für ein besseres Verständnis der Ausgewogenheit zwischen Arbeit und Entspannung erscheint es sinnvoll, die Arbeit an sich neu zu bewerten. (Bild: Eugenio Marongiu / Shutterstock.com)
Für ein besseres Verständnis der Ausgewogenheit zwischen Arbeit und Entspannung erscheint es sinnvoll, die Arbeit an sich neu zu bewerten. (Bild: Eugenio Marongiu / Shutterstock.com)


Arbeit neu bewerten

Für ein besseres Verständnis der Ausgewogenheit zwischen Arbeit und Entspannung erscheint es sinnvoll, die Arbeit an sich neu zu bewerten. Besonders in den letzten Jahrzehnten wird Arbeit zunehmend wieder als lebensfeindlich und entgegen den Interessen der meisten Menschen beschrieben. Das kann so nicht hingenommen werden. Arbeit ist gesellschaftlich erforderlich, sie prägt die Natur des Menschen und erfährt lediglich in der Lohnarbeit eine Klassifizierung hin zur Nutzung bis zur Ausbeutung menschlichen Schöpfertums und der Leistungskraft einzelner Individuen.

Daher muss vor allem die Lohnarbeit neu bewertet werden. Grundsätzlich sollte dabei davon ausgegangen werden, dass Lohnarbeit in allen zivilisierten Gesellschaften ein Merkmal der Spezialisierung ist und in erster Linie dem Erwerb des Lebensunterhaltes der Menschen dient. Dementsprechend muss der Wert der Arbeit so bemessen sein, dass Menschen ohne einen übermässigen Einsatz von Zeit und individueller Energie davon zumindest auf einem gesellschaftlich angepassten Niveau leben können. Hier eingeschlossen sein müssen eine ausreichende und vollwertige Ernährung, eine angemessene Kleidung, menschengerechtes Wohnen sowie Möglichkeiten einer Teilnahme am gesellschaftlichen und kulturellen Leben, wozu auch ein Anspruch auf zusätzliche Bildung und persönliche Entwicklung gehört. Das ist das, was Lohnarbeit an sich garantieren muss, ohne dass der individuelle Aufwand für die Erwerbstätigkeit selbst die Grenzen des durchschnittlich persönlich Machbaren erreicht oder übersteigt.

Damit bleibt dann auch Platz für mehr persönlichen Einsatz für entsprechend mehr Geld und dafür ein eigenständiges Steigern der Lebensqualität aus materieller Sicht heraus. Dann kann jeder für sich entscheiden, welchen Lebensstandard er erreichen will und wie viel Arbeit er dafür einsetzen möchte. Auf diesem Weg lässt sich die individuelle Ausprägung der Ausgewogenheit von Beruf, Privatleben, gesellschaftlichem Leben und zusätzlichen Ansprüchen herstellen.

Work-Life-Balance ist eigentlich ein Lügenmodell

Aus unterschiedlicher Sicht erweist sich die Theorie von der Work-Life-Balance als ein verlogenes Modell. In Wahrheit muss ein ausgewogenes Verhältnis von gesellschaftlicher Lebensrealität, privatem Lebensanspruch und der dafür eingesetzten Arbeitsleistung hergestellt werden. Dieses Modell kommt der menschlichen Lebensrealität am nächsten und offenbart die Ressourcen in der Ausgestaltung der wechselseitigen Beziehungen zwischen gesellschaftlichem Anspruch, Privatleben und Erwerbstätigkeit zur Sicherung des Lebensunterhaltes und zur zusätzlichen Steigerung der Lebensqualität.

Jede andere Diskussion über eine „Ausgewogenheit von Leben und Arbeiten“ verfälscht die Sichtweise und stellt das Leben über die Arbeit an sich. Daraus resultieren letztlich zunehmend unausgewogenere Modelle, die dazu führen, dass Arbeit zunehmend menschenfeindlicher dargestellt und letztlich auch entsprechend ausgestaltet werden wird. Ein Schritt zurück in frühkapitalistische Zeiten, in der Arbeit als reine Ausbeutung verstanden und umgesetzt wurde.

 

Oberstes Bild: © Vaju Ariel – Shutterstock.com

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Mehr zu Olaf Hoffmann

Olaf Hoffmann ist der kreative und führende Kopf hinter dem Unternehmen Geradeaus...die Berater.
Neben der Beratertätigkeit für kleine und mittlere Unternehmen und Privatpersonen in Veränderungssituationen ist Olaf Hoffmann aktiv in der Fort- und Weiterbildung im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe.
Als Autor für zahlreiche Blogs und Webauftritte brilliert er mit einer oftmals bestechenden Klarheit oder einer verspielt ironisch bis sarkastischen Ader. Ob Sachtext, Blogbeitrag oder beschreibender Inhalt - die Arbeiten des Autors Olaf Hoffmann bereichern seit 2008 in vielfältigen Formen das deutschsprachige Internet.

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