Active Sourcing durch unternehmenseigene Talentscouts

Der Anruf eines Headhunters war für Hochqualifizierte bisher der Premium-Weg, zu einem neuen Job zu kommen. Die diskreten Personalvermittler konzentrieren sich auf das obere und mittlere Segment des Arbeitsmarktes und verdienen daran ausgezeichnet. Die Executive Search Consultants, wie sich die Berater gerne selber nennen, erhalten mindestens ein Drittel des Bruttojahresgehaltes der gesuchten Führungskraft, in die Honorarsätze werden auch Nebenleistungen wie Dienstwagen und Altersvorsorge eingerechnet. Hinzu kommen Pauschalen für die Spesen der Berater, die sich nochmals auf mindestens 20 % des Basishonorars belaufen.

Für Unternehmen kann die Zusammenarbeit mit Headhuntern somit schnell ausgesprochen teuer werden; günstigere Sätze gibt es in der Regel nur, wenn ein Rahmenvertrag den Personalberatungen eine ganze Reihe von Aufträgen verschafft. Zudem bemängeln die Firmen, dass das Vermittlungsresultat nicht immer die Erwartungen erfüllt – auch hochkarätige Bewerber erweisen sich im Nachhinein nur allzu oft als Fehlbesetzung. Das Beraterhonorar wird bei einem solchen Debakel natürlich trotzdem fällig. Viele Unternehmen – darunter solche Schwergewichte wie die Swisscom oder der Pharmakonzern Hoffmann-La Roche – nehmen die Suche nach gestandenen Managern und High Potentials daher in die eigenen Hände.

Interaktive Bewerbersuche und Employer Branding – seit Längerem etabliert

Die eigenständige Personalsuche der Unternehmen beschränkt sich dabei längst nicht mehr auf die Schaltung von Stellenanzeigen in den Medien. Viele Firmen offerieren Stellensuchenden sehr detailreich ausgestaltete Karriereseiten, in denen Bewerber bereits vorab sehr viel über das Unternehmen, seine Kultur, Arbeitsbedingungen und Karriereperspektiven erfahren können. Die Personal- und Kommunikationsabteilungen der Firmen sind heute fast immer auch im Social-Media-Bereich aktiv. Sie präsentieren ihre Unternehmen auf Facebook oder Google+, betreiben eigene Karriere-Blogs und publizieren aktuelle News in Firmen-Tweets. Das Ziel der interaktiven Bewerbersuche besteht darin, geeignete Kandidaten zu erreichen und sich als attraktiver Arbeitgeber darzustellen.

25 % der Firmen im deutschsprachigen Raum betreiben Active Sourcing

Einen Schritt weiter geht das sogenannte Active Sourcing. Dabei präsentiert sich das Unternehmen potenziellen neuen Mitarbeitern nicht nur in allgemeiner Form, sondern geht gezielt auf Kandidatensuche. Die firmeneigenen Talentscouts sind vor allem im Internet aktiv und sprechen dort geeignete Bewerber an. Eine Studie des ICR (Institute for Competitive Recruiting) unter 10’000 Personalern im deutschsprachigen Raum, darunter also auch der Schweiz, weist aus, dass bereits 25 % der Firmen diesen Recruiting-Ansatz nutzen – im Vergleich zur vorhergehenden Erhebung vor drei Jahren hat sich ihr Anteil fast verdoppelt.

Studienleiter Wolfgang Brickwedde bescheinigt vor allem Beratungs- und Wirtschaftsprüfungsgesellschaften sowie Unternehmen, die Ingenieure und hochqualifizierte IT-Mitarbeiter suchen, bei ihren Bemühungen, geeignetes Personal zu finden, einen immensen Leidensdruck. Auch in anderen Branchen entscheiden sich jedoch immer mehr Firmen für eine aktive Suche.

Firmeninterne Talentscouts übernehmen Headhunter-Funktionen

Für qualifizierte Bewerber ist dies eine gute Nachricht. Zum Teil sind sie in der Lage, zwischen mehreren Arbeitgebern auszuwählen – vorausgesetzt, sie präsentieren sich mit ihrem beruflichen Profil prägnant im Internet. Die Swisscom hat ihren ersten Talentscout 2013 eingestellt. Edda Rettinger wird immer dann aktiv, wenn für eine offene Stelle keine internen Bewerber zur Verfügung stehen, sich auf Stelleninserate keine geeigneten Kandidaten melden oder die Position generell schwierig zu besetzen ist. Besonders dringend sucht der Telekommunikationskonzern neue Mitarbeiter mit profunder SAP-Erfahrung.

In der Praxis übernimmt Rettinger bei der Suche Aufgaben, die früher an Personalberatungen ausgelagert wurden: Mit dem verantwortlichen Manager klärt sie zunächst das Suchprofil und recherchiert Zielfirmen, bei denen solche Mitarbeiter tätig sind. Danach beginnt die eigentliche Suche. Ihrer Erfahrung nach erhält sie auf ihre Anfragen im Vergleich zu Headhuntern wesentlich häufiger eine Reaktion.


Oberstes Bild: © Singkham - Shutterstock.com
Oberstes Bild: © Singkham – Shutterstock.com


Gezielte Online-Suche nach Talenten

Für die Unternehmen ist Active Sourcing wesentlich aufwendiger, als es auf den ersten Blick erscheint. Talentscouts wie Edda Rettinger beschränken sich bei ihrer Suche keineswegs nur auf grosse Business-Plattformen wie Xing oder LinkedIn. Unter anderem sind sie in Fachforen unterwegs und suchen dort nach besonders kompetenten Schreibern, sichten die Rednerlisten von Konferenzen oder recherchieren Fachbeiträge und andere Publikationen von für sie interessanten Kandidaten. Wechselwillige Angestellte sollten sich im Gegenzug nicht nur über ihr Profil, sondern auch über ihre Auffindbarkeit im Netz Gedanken machen.

Recruiting-Experte Brickwedde empfiehlt Stellensuchenden, ihren Online-Auftritt mit Schlüsselworten, nach denen Arbeitgeber suchen können, auszustatten. Der eigene Lebenslauf sollte – selbstverständlich in regelmässig aktualisierter Form – in den Datenbanken von Jobbörsen wie Expeteer, Stepstone oder Monster abgespeichert sein.

Personalisierte E-Mail-Ansprache von Kandidaten ist erfolgversprechend

Ob das Stellenangebot des Unternehmens seriös ist, lässt sich bei der Kontaktaufnahme leicht erkennen. Im Rahmen ihres Active Sourcing gehen die Personaler normalerweise intensiv auf den Lebenslauf der Kandidaten ein, beziehen sich auf Fachkenntnisse und beschreiben auch bereits die anvisierte Stelle. Letztendlich ist bei dieser Recruiting-Methode die persönliche Ansprache der „Zielpersonen“ erfolgsentscheidend: Die ICR-Studie zeigt, dass die Angesprochenen auf eine personalisierte E-Mail zehnmal häufiger reagieren als auf die Übermittlung eines Links zu einem Stelleninserat.

USA: Recruiting-Suchmaschinen erstellen digitale Akten

Auch ausgewiesene Führungskräfte und Experten brauchen jedoch bisher nicht zu fürchten, dass eine Flut von Unternehmensanfragen über sie hereinbricht. Schweizer Firmen setzen Active Sourcing bisher nur bei der Neubesetzung von für sie besonders wichtigen Positionen ein, was sich in absehbarer Zukunft jedoch ändern wird. Aktuelle Trends setzen hier wie so oft die USA – dort gibt es bereits spezielle Recruiting-Suchmaschinen. Der Anbieter Entelo erfasst alle Datenspuren eines Menschen, beispielsweise Statusmeldungen auf Facebook oder Twitter sowie Beiträge in Blogs und Foren. Das Ergebnis dieser Suche steht den Arbeitgebern als digitale Akte zur Verfügung.

Algorithmen beobachten ausserdem die verschiedenen Karrierestationen und geben Prognosen ab, wann der Betreffende vermutlich wieder auf Stellensuche gehen wird – exakt zu diesem Zeitpunkt findet er womöglich ein unerwartetes Jobangebot in seiner Mailbox.

Wie weit diese Praxis hierzulande akzeptiert werden wird, bleibt abzuwarten. Wenn sie sich durchsetzt, besteht der Preis für den leichten Zugang zum potenziellen Traumjob letztlich in noch stärkerem Kontrollverlust über die Verwendung der eigenen Daten – noch vor dem ersten persönlichen Kontakt zu einem interessierten Arbeitgeber.

 

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