Messespionage – das unterschätzte Risiko

Auf Messen geben sich Unternehmen offen, kommunikativ und transparent, schliesslich wollen sie sich gegenüber potenziellen Kunden so attraktiv wie möglich präsentieren. Mögliche Geschäftspartner stellen unter Umständen viele Fragen – nach den technischen Spezifikationen eines Produktes, nach Konditionen oder Lieferanten. Sicherheitsfachleute schlagen hier Alarm: Aus ihrer Sicht können auch scheinbar unauffällige Fragen ein Indiz für Wirtschaftsspionage sein.

Experte Doug Helton von der Spionageabwehrfirma Spear Tip meint, dass Messen perfekte Orte für geheimdienstliche oder kriminelle Aktivitäten seien. Er weiss, dass asiatische Wirtschaftsspione auf Industriemessen recht regelmässig festgenommen werden. Eine nachhaltige Wirkung ist damit nicht verbunden. Kaum ein Unternehmen kann sich heute leisten, den chinesischen Markt bei seinen geschäftlichen Aktivitäten auszublenden.

Damit stehen sie auch auf Messen unter Zugzwang – Firmen, die wirtschaftliche Beziehungen nach China unterhalten, sind gezwungen, auch ihre Partner aus dem Reich der Mitte dorthin einzuladen. Auch andere Staaten betrachten Messen als optimale Möglichkeit, um an sensibles Know-how zu kommen. Beispielsweise sind russische Geheimdienstmitarbeiter verpflichtet, die Wirtschaft ihres Landes durch Spionagetätigkeit zu stärken.

Koordinierte Aktionen zur Informationsabschöpfung

Die klassische Messespionage läuft in zwei verschiedenen Phasen ab. Zunächst geht es darum, über ein Unternehmen und seine Produkte so viele Informationen wie möglich zu gewinnen, danach suchen die Spione gezielt nach Schwachpunkten in den anvisierten Firmen. Helton beschreibt, dass chinesische Wirtschaftsspione auf Messen oft unabhängig voneinander und in grossen Gruppen agieren. Wenn jeder von ihnen eine andere Frage stellt, weist kaum etwas darauf hin, dass es sich dabei in Wirklichkeit um einen Spionageangriff handelt.

Den Unternehmen rät er, aufmerksam zu werden, wenn es für ein Geschäft bereits mehrere Interessenten gibt, die jedoch immer wieder einen Rückzieher machen, statt Entscheidungen über eine Zusammenarbeit zu treffen.

Verkaufsinteressen überlagern Sicherheitsbedenken

Die Spione nutzen mit dieser Strategie das Verkaufsinteresse der Mitarbeiter an den Messeständen aus. Durch gezielte Fragen werden diese dazu angestachelt, immer mehr und detailliertere Informationen preiszugeben, um endlich einen Abschluss zu erzielen. Wenn ein Interessent die Abnahme hoher Stückzahlen in Aussicht stellt, vergessen vor allem Marketing- und Vertriebsexperten sämtliche Sicherheitsbedenken. Zudem sind die scheinbaren Kunden psychologisch und kommunikativ geschult. Im Fachjargon wird ihr Vorgehen als Gesprächsabschöpfung (auf Englisch „elicitation“) bezeichnet.

Falsche Informationen, Schmeicheleien, „Honigfallen“

Zu den häufigsten Elicitation-Methoden gehört, gezielt falsche Informationen zu erwähnen, die der Gesprächspartner natürlich richtigstellen will. Bei solchen Korrekturen werden dann nicht selten sensible Punkte offenbart. Ein weiterer Trick sind Schmeicheleien im Hinblick auf die Expertise des Mitarbeiters am Messestand, den diese womöglich motivieren, mit weiteren Details zu glänzen. Eher simpel ist die Methode, die Aussteller durch das Auftreten attraktiver Frauen und Männer zu bezirzen. Durch das sogenannte Puzzle-System werden die gesammelten Teilinformationen schliesslich zu einem sicherheitsrelevanten Gesamtbild kombiniert.

Industriemessen – globale Copyshops

Die Omnipräsenz von Smartphones und Tablets macht – natürlich branchenabhängig – Industriespionen ihre Arbeit heutzutage besonders einfach: Sie fotografieren einfach ihre Beute. Nicht umsonst gelten manche Messen als globale Copyshops. Viele Veranstalter versuchen, diese Entwicklung durch strikte Fotoverbote und entsprechende Kontrollen aufzuhalten – eine Sisyphos-Arbeit, da auch viele Aussteller neben ihrem offiziellen Part als Spione tätig werden.

Das Pressebüro der GDS in Düsseldorf – der grössten Schuhmesse der Welt – liess wissen, dass in den vergangenen Jahren zu einem einzigen Messetermin bis zu 170 Fälschungen offenkundig wurden. Die Veranstalter der weltweit wichtigsten Messe für Schmuck und Uhren – der BaselWorld – setzen auf ein in der Branche einzigartiges internes Schiedsgericht, bei dem sich Messeteilnehmer melden können, wenn sie fürchten, dass andere Aussteller ihre Produktideen kopieren wollen. Es ist befugt, die Stände verdächtiger Aussteller sofort zu schliessen.



Abwehrstrategien gegen Spionage

Das deutsche Fachportal „Sicherheitsmelder“ empfiehlt Ausstellern einfach zu praktizierende Abwehrstrategien: Beim Frage-Antwort-Spiel am Messestand hat nicht nur der potenzielle Kunde ein Recht auf möglichst umfassende Informationen. Die Firmenmitarbeiter sollten daher durch höfliche Fragen versuchen, so viel wie möglich über ihre Gesprächspartner zu erfahren. Der Austausch von Visitenkarten – und damit der Zugang zu einer verifizierbaren Adresse – ist ein Muss.

 

Wenn ein Interessent auf einer Messe nach sensiblen Daten fragt, kann mit ihm vereinbart werden, dass er diese später separat erhält. Damit gewinnt der Aussteller Zeit, darüber zu entscheiden, welche Informationen zur Geschäftsanbahnung er wirklich übermitteln will, und eigene Informationen über den Fragenden einzuholen. Misstrauen ist auch angebracht, wenn es in einem oder mehreren Gesprächen immer wieder um dasselbe technische Internum geht. Falls ein Gesprächspartner etwas offensichtlich Falsches über ein Produkt oder das Unternehmen sagt, sind eine ausweichende Reaktion oder eine „Richtigstellung“ in allgemein gehaltener Form am besten.

Sicherheits-Risiko Smartphone

Firmen, die sensible Technologien und Produkte auf Messen präsentieren, sollte ihre Mitarbeiter darin schulen, mit welchem Vorgehen von Industriespionen sie rechnen müssen. Oft sind sich die Angestellten an den Messeständen gar nicht bewusst, welche Tricks bei der Gesprächsabschöpfung zum Einsatz kommen oder welche Folgen mangelnder Produkt- und Datenschutz für das Unternehmen haben kann. Auch die technischen Möglichkeiten für Wirtschaftsspionage sollten die Sicherheitsexperten in den Firmen dabei im Blick behalten.

 

An vielen Ständen werden Gastgeschenke oder Technik zum Mitnehmen bereitgehalten – auf dem edel verpackten USB-Stick können jedoch auch ein Trojaner oder Spionage-Software gespeichert sein. Technische Geschenke sollten daher nicht unkritisch verwendet, sondern zuvor einer gründlichen Überprüfung unterzogen werden. Auch manipulierte Smartphones sind eine nicht zu unterschätzende Gefahrenquelle. Die Telefone können über Funkschnittstellen angegriffen werden und ermöglichen das Abgreifen von Informationen dann auch nach dem Messe-Ende.

Fliessende Grenzen zwischen Konkurrenzbeobachtung und Spionage

Sicherheitsrelevant sind auf Messen schliesslich auch viele scheinbar kleine Dinge. Beim Auf- und Abbau eines Messestandes sind die Exponate oft zeitweise ungeschützt. Die meisten Laptops, auf denen die Firmen präsentieren, sind nicht ausreichend gesichert, auch an die Verschlüsselung von Daten auf diesen Computern denken nur die wenigsten. Zudem gehen von den WLAN-Netzen der Veranstalter oft Sicherheitsrisiken aus.
Ein Messeauftritt ist für Unternehmen immer eine Gratwanderung zwischen Datenschutzerfordernissen und der Notwendigkeit von Offenheit, Öffentlichkeit und Transparenz. Und auch unterhalb der Grenzen zu expliziter Wirtschaftsspionage gilt, dass die Grenzen zwischen Konkurrenzbeobachtung und dem Ausspähen von Wettbewerbern heute fliessend sind.

 

Oberstes Bild: © Andrey Burmakin – Shutterstock.com

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