Lebenslanges Lernen wird vom Bundesrat befürwortet, doch die Umsetzung ist verbesserungswürdig

Zehn Jahre Berufsbildungsgesetz: Ein Kommentar

Nachdem das Berufsbildungsgesetz vor exakt zehn Jahren verabschiedet wurde, feiert man – unterstützt durch Hochglanzprospekte und oft wenig lebensnahe Initiativen – das lebenslange Lernen als Erfolgsmodell der Schweizer Wirtschaft.

Ziel sei jetzt, nach Abschluss aller notwendigen Reformen, die Umsetzung. Genau diese Bildungshaltungen, die nicht der Realität entsprechen, bilden den Ansatzpunkt meiner Kritik.

Berufsbildungsgesetz: Note mangelhaft

In der Schweiz war ein gesetzlicher Rahmen zur fundierten Berufsausbildung nach der Jahrtausendwende dringend erforderlich, um ein modernes und den Gegebenheiten angepasstes Berufsbildungsgesetz zu verabschieden. Kernpunkte bildeten Erstauszubildende, Ausbildungsbetriebe und der gesellschaftliche Rahmen. Darüber hinaus sollten auch die berufliche Fort- und Weiterbildung und die Umschulung gesetzlich abgesichert werden, wie beharrlich erbetene Reformen deutlich machten. Gelungen ist dies anscheinend nur teilweise.

Die Integration von Migranten ohne oder mit einer im Schweizer Raum nicht anerkannten Berufsausbildung ist beispielsweise aktuell immer noch nicht gesetzlich festgelegt. Integration bedeutet in diesem Fall, dass Migranten angemessen beschäftigt werden können, also chancengleich und entsprechend ihrer beruflichen Bildung und Erfahrung. Sonntägliche Politikerreden auf kantonaler und Bundesebene bieten keine Abhilfe, wenn es um offensichtliche wirtschaftliche Missstände geht – nicht nur Bildungspolitik ist hier von Bedeutung. Zehn Jahre nachdem das Berufsbildungsgesetz verabschiedet wurde, werden Lücken offenbar, bei denen lediglich der gute Wille nicht ausreicht, um sie zu kitten.

Es geht auch um die Jugend

Die Berufsausbildung von Jugendlichen stellt innerhalb des Berufsbildungsgesetzes zugegebenermassen einen wesentlichen Punkt dar. Dennoch finden echte Probleme keine Berücksichtigung. Wenn Erziehungs- und Bildungsmängel dazu geführt haben, dass ältere Jugendliche keine Berufsausbildung beginnen konnten und heranführende Massnahmen ebenfalls unerreichbar blieben – wie soll dann mit diesen Menschen umgegangen werden? Oft ist hier von einer zweiten Chance die Rede. Dabei stellt sich allerdings die Frage, wie eben diese wahrgenommen werden soll, wenn eine ausreichende Grundausbildung fehlt, und vor allem: Wer dies bezahlen soll.

Wann und wie Personen ohne Berufsausbildung, die inzwischen eine Beschäftigung vorweisen können, eine Lehre nachholen sollen, ist diesbezüglich auch von Interesse. Streng genommen ist dafür eine Freistellung von der Arbeit erforderlich, was letztendlich den Verlust des Arbeitsplatzes bedeutet. Dabei bildet dieser, oft mit Lohnverzicht und simplen Tätigkeiten verbundene Arbeitsplatz, die einzige Sicherheit, ein annähernd normales Leben führen zu können. Zwar ist das Einkommen meist dürftig, dafür aber wird es regelmässig gezahlt. Dass die Schweiz jetzt die Berufsausbildung dieser Betroffenen in die Wege leitet und ihnen ein staatliches Ersatzgehalt offeriert, kann ich mir kaum vorstellen. Vor allem, da der erfolgreiche Ausgang solcher Bildungsmassnahmen nicht gewährleistet werden kann.


Lebensbezug als Grundlage des Lernens (Bild: © iravgustin – shutterstock.com)

Auf berufsbegleitende Ausbildungen trifft ebenfalls zu, dass die Idee an sich gut ist, die Umsetzung ohne Gefährdung des Arbeitsplatzes allerdings fraglich. Ein gesetzlich festgelegtes Bildungssystem ist in diesem Fall zu statisch und schwerfällig.

Bund fordert lebenslanges Lernen – doch die Förderung fehlt

Dass die Bevölkerungsgruppe der 25- bis 65-Jährigen nun ebenfalls in den Mittelpunkt zweifellos gut gemeinter Bildungsinitiativen gestellt wird, ist bemerkenswert. Selbstverständlich hört der Lernprozess ein Leben lang nicht auf – was, wann, wo und wie eben diese Erwachsenen lernen sollen, wird jedoch nicht deutlich. Als Schlagworte werden Fort- und Weiterbildung sowie abschlussorientierte Bildungsgänge für den Beruf genannt. Die Wirtschaft steht offensichtlich im Vordergrund. Es ist natürlich nicht ausgeschlossen, dass Menschen mit speziell geeigneten Bildungsgängen und erweiterten Abschlüssen einen Karriereschub erzielen können. In der Realität wird dies aber die Ausnahme sein.

Wie das Lernen, neben Arbeit (vorzugsweise als Vollbeschäftigung), Familie und gesellschaftlichem Leben realisiert werden soll, bleibt offen. Der durchschnittliche Arbeitgeber zeigt meist keine Bereitschaft zur Freistellung seiner Angestellten, wenn vorgesehen ist, zeitaufwendige Bildungsmassnahmen bei vollem Lohnausgleich durchzuführen. Insbesondere kleinere Arbeitgeber werden durch kostenintensive Fort- und Weiterbildungen, zugeschnitten auf Branche und Beruf, vor grosse Herausforderungen gestellt. Wenn eine Hilfskraft im Betrieb exakt die von ihr geforderte Arbeit leistet, aus welchem Grund sollte ein Unternehmen sie dann zur Schule beordern?

Lebensbezug als Grundlage des Lernens

Meiner Meinung nach unzureichend behandelte Problematiken im Spannungsverhältnis von lebensnaher Realität und politischer und wirtschaftlicher Intention habe ich hier dargestellt. Es ist nicht damit zu rechnen, hier passende Antworten zu finden. Sogar im Falle der Übereinkunft bildet häufig die Kostenfrage den Stein des Anstosses. Für mich persönlich bedeutet lebenslanges Lernen mehr als berufliche Qualifikationen und ergänzende Abschlüsse. Von viel grösserer Bedeutung sollte die Bereitschaft und Fähigkeit von Menschen sein, auch im Alter noch für sich und ihr Leben zu lernen.

Die Zahl der Arbeitnehmer, welche mit über fünfzig noch gewillt sind, eine Berufsausbildung oder einen höheren Bildungsabschluss zu erwerben, wird sich in Grenzen halten. Wozu auch? Die meisten Menschen haben sich irgendwann mit ihrem Leben und den persönlichen Möglichkeiten abgefunden. Wenn es darum geht, was noch gelernt werden soll, sind häufig eher Vorlieben und individuelle Interessen ausschlaggebend. Da diese auf die persönlichen Fähigkeiten eines Menschen abzielen, können auch Unternehmen und Gesellschaft einen Vorteil daraus ziehen. Kompetenzen, die den Menschen als individuelle Persönlichkeit voranbringen (beispielsweise Hobbys), stehen dabei mehr im Vordergrund als abrufbereites und anwendungsbezogenes berufliches Spezialwissen. Und die Schweizer investieren dafür bereitwillig privates Geld und private Zeit. Berufsbildungsgesetz, schmeichelnde Politikerreden und attraktive Hochglanzblätter mit mehr Schein als Sein sind dafür nicht nötig.

 

Oberstes Bild: © bikeriderlondon – shutterstock.com

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