Nadelstreif aus und Ärmel hoch!

Führen heisst Leiten und Leiten heisst Verstehen. Bei diesem Verstehen geht es nicht nur darum, Abläufe und Strukturen im Unternehmen zu kennen und richtig einzuordnen, sondern vor allem auch die einzelnen Mitarbeiter und Mitarbeitergruppen in ihrer Arbeit, ihren Bedürfnisse und arbeitsbezogenen Grundhaltungen wahrzunehmen.

Unternehmensleiter und Führungskräfte in der mittleren und unteren Riege wissen oftmals nicht um ihre eigentliche Bedeutung für die Arbeitnehmer und das Gesamtunternehmen. Besonders dann, wenn Führungskräfte in grossen Unternehmen in fertig vorhandene Strukturen integriert werden, geht der so wichtige Draht nach unten manchmal verloren.

Wissen, was läuft

Gut erinnere ich mich an eine Führungskraft im mittleren Management, die ihren Einstieg ins Unternehmen so richtig danebengesetzt hat. „Ich weiss zwar nicht was Sie tun, aber Sie werden es schon richtig tun!“, das war quasi ihr erster Satz zu den Beschäftigten in einem der ihr untergeordneten Bereiche. Ein denkbar schlechter Einstieg, der bei den Mitarbeitern ausser Schulterzucken und Kopfschütteln zunächst kaum spürbare Reaktionen auslöste. Die kamen dann mit geringer Verzögerung. Es stellte sich im Mitarbeiterkreis die Frage, ob die Unternehmensleitung und die Führungskräfte in der mittleren Hierarchie überhaupt wissen, was die Beschäftigten im Unternehmen konkret tun. Wenn solche fragwürdigen Aussagen im Raum stehen, wird es Zeit zu handeln, noch bevor die Führungsriege das Vertrauen der Belegschaft ganz verliert. Für jeden Leiter, egal in welcher Position, ist es ausserordentlich wichtig zu wissen, was die ihm Unterstellten tun. Und das von Beginn an. Nur so kann Leitungstätigkeit punktgenau auf die Mitarbeiter und auf das anvisierte Unternehmensziel ausgerichtet werden. Alles andere erinnert eher an das Belegen von Posten und Pöstchen und an eine diktatorische Hierarchie, der das Bewusstsein für den Wert der Arbeitskräfte fehlt.


Der beste Weg zum Verständnis von Strukturen, Abläufen und einzelnen Mitarbeiterbedürfnissen führt direkt in die Produktion von Waren oder in die Ausgestaltung von Dienstleistungen. (Bild: Paul-Georg Meister / pixelio.de)


Gehen Sie in Ihre Bereiche!

Eine recht konkrete Aufforderung, die allerdings nicht damit abgetan ist, dass sich Führungskräfte ab und an mal bei ihren dienstlich unterstellten Kollegen sehen lassen. Vielmehr geht es darum, dass sich Führungskräfte besonders der mittleren und oberen Leitungsebene gründlich mit der Arbeit jedes einzelnen Kollegen oder zumindest genau mit der Verantwortung einzelner Bereiche im Unternehmen auseinandersetzen. Und das geht nicht vom Schreibtisch aus. Der beste Weg zum Verständnis von Strukturen, Abläufen und einzelnen Mitarbeiterbedürfnissen führt direkt in die Produktion von Waren oder in die Ausgestaltung von Dienstleistungen. Sprich: Führungskräfte tauschen zumindest für eine Woche im Jahr Ihren Nadelstreifen-Anzug oder das schicke Kostüm gegen die Arbeitskluft der Beschäftigten. Dann nehmen sie an der alltäglichen Arbeit teil und erfahren so, welcher Anstrengungen es zum Erreichen der Unternehmensziele bedarf und oftmals auch, wo der Schuh wirklich drückt.

Undercover Boss nicht nur auf 3+

Die britische Doku-Soap Undercover Boss mit ihren deutschsprachigen Ablegern aus Deutschland, Österreich und der Schweiz macht vor, wie es geht. Hier schlüpfen Entscheider in die Rolle von Praktikanten oder Hilfsarbeitern und haben so die Möglichkeit zu erfahren, was an der Basis wirklich los ist. Neben der oftmals ungewohnt harten Arbeit lernen die CEOs auch Einzelschicksale kennen und erfahren direkt vor Ort, wo die Probleme in der Arbeit wirklich liegen. Die Rückkehr auf den Chefsessel ist dann mit einer ganz anderen Sicht der Dinge behaftet. Jetzt weiss der Chef endlich ganz genau, was in seinem Unternehmen geleistet wird und welche Verbesserungen für die Mitarbeiter und innerhalb bestimmter Abläufe dringend notwendig sind. Auf der Basis dieser Erkenntnisse lässt sich Leiten ganz neu gestalten und schafft tiefgründige und vielseitige Möglichkeiten für wichtige Veränderungen.

Das Prinzip Undercover Boss lässt sich in fast jedem grossen und mittleren Unternehmen umsetzen. Dabei geht es weniger darum von Kameras begleitet und im Äusserlichen verändert betriebliche Abläufe kennenzulernen. Vielmehr geht es in der Realität darum zu erfahren, was die Beschäftigten wirklich leisten, was von ihnen abverlangt wird und wo Veränderungen dringend erforderlich sind. Dazu müssen sich Führungskräfte nicht verkleiden, sondern nur in die Teams in ihrem Verantwortungsbereich vorübergehend eingliedern lassen. Zwar wird dann mancher Arbeitnehmer nicht vorbehaltlos mit seinen Wahrheiten herausrücken, dennoch kann der Leiter direkt an der Wertschöpfung im Unternehmen teilnehmen. Das eröffnet ihm nicht nur neue Einsichten in die Arbeit der ihm Unterstellten, sondern macht oftmals auch deutlich, was aus Sicht der Leitungsebene dringend verändert werden muss.

Ergebnis: Ein anderes Verhältnis zu Arbeit und Leistung

Wird der zeitweise Umstieg vom Bürostuhl an den produzierenden Arbeitsplatz ernst genommen und vertrauensvoll mit der Belegschaft kommuniziert, bieten sich hervorragende Möglichkeiten für ein völlig neues Leitungsbild. Der Mitarbeiter an der Basis lernt seine Vorgesetzten von einer neuen Seite kennen und erlebt auch, wie Führungskräfte sich persönlich und intensiv mit der Arbeit im Unternehmen befassen. Das stärkt unter anderem auch den innerbetrieblichen Zusammenhalt und wirkt sich nachhaltig gut auf das Betriebsklima aus. Letztlich führt ein solcher Rollenwechsel vor allem dazu, dass Führung als Leitungstätigkeit sich nicht mehr ausschliesslich mit Zahlen und abstrakten Zielvorgaben, sondern vor allem mit der betrieblichen Realität befassen kann.

Dann werden vielleicht auch Äusserungen wie „Ich weiss zwar nicht was Sie tun, aber Sie werden es schon richtig tun!“, seltener zu hören sein. Wünschenswert ist das allemal!

 

Oberstes Bild: @ Jeanette Dietl – Fotolia.com

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Mehr zu Olaf Hoffmann

Olaf Hoffmann ist der kreative und führende Kopf hinter dem Unternehmen Geradeaus...die Berater.
Neben der Beratertätigkeit für kleine und mittlere Unternehmen und Privatpersonen in Veränderungssituationen ist Olaf Hoffmann aktiv in der Fort- und Weiterbildung im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe.
Als Autor für zahlreiche Blogs und Webauftritte brilliert er mit einer oftmals bestechenden Klarheit oder einer verspielt ironisch bis sarkastischen Ader. Ob Sachtext, Blogbeitrag oder beschreibender Inhalt - die Arbeiten des Autors Olaf Hoffmann bereichern seit 2008 in vielfältigen Formen das deutschsprachige Internet.

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